29.07.2022 Drucken
Tagebuch
  
Freitag, den 29. Juli 2022 um 20:22 Uhr

Nach den Ereignissen der letzten Stunden wurde mir erst wieder bewusst,

wie gefährlich die erste große Reise für einen unerfahrenen Jungstorch ist, und

dass es nicht selbstverständlich ist, dass es alle schaffen. Wir müssen es immer wieder

als ganz großes Geschenk betrachten, wenn wir Einjährige und Zweijährige beobachten,

die die vielen Gefahren gemeistert haben und gesund zurückgekehrt sind.

Doch was war geschehen?

Ein Gewitter und heftige Sturmböen zogen gestern Abend über Isny. Es wird um

Mitternacht rum gewesen sein, als ein Notruf bei der Feuerwehr einging. Ein

offensichtlich verletzter Storch war in der Innenstadt entdeckt worden. Jürgen

und seine Kameraden bargen den armen Kerl. Er verbrachte dann die Nacht

an einem sicheren Plätzchen im Gebäude der Isnyer Feuerwehr.

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Ich erfuhr am Morgen von der nächtlichen Aktion. Meine Aufgabe war jetzt,

einen Termin bei der TÄ auszumachen und den Storch dort vorzustellen.

Jürgen hatte Frau Reinhard bereits informiert und auch in Salem

nachgefragt, ob ein Platz frei wäre. Allerdings ist die Voliere in Salem zur

Zeit voll besetzt, ein Pflegestorch hätte nach Volkertshausen oder Mössingen

gebracht werden müssen.

Dann kam gleich in der Früh noch ein weiterer Hilferuf. Ein verletzter/

geschwächter Storch stand in einem Garten bei uns in der Nähe und

wollte oder konnte nicht mehr wegfliegen. Der erste Eindruck von

diesem Storch war recht gut, er spazierte im Garten auf und ab,

das Gangbild war gleichmäßig, die Flügel sahen auf den ersten Blick

auch gut aus. Allerdings hatte er eine Wunde im Nacken und er

hatte etliche Federn, vor allem im Schwanzbereich, verloren. Ich

plante die Einfangaktion für diesen Storch. Es war ein unberingter Jungstorch, wer es ist, kann ich natürlich

nicht sagen.

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Nach der ersten Vor-Ort-Kontrolle war klar, der Storch musste eingefangen werden. Er stand in einem

kleinen Garten, Häuser, Bäume drumherum, dort zu starten war eine unlösbare Aufgabe für einen unerfahrenen,

verängstigten Jungstorch.

Erhard unterstützte mich bei der Einfangaktion, der Storch konnte problemlos in die Ecke gedrängt und

eingefangen werden. Und schon bei mir im Arm, auf dem Weg zum Auto war klar, dass dieser Storch keine

Verletzung an den Flügeln haben kann, denn er begann sofort, sich zu wehren und zu zappeln. Wir konnten

ihn dann in die Transportbox setzen. Auch während der kurzen Fahrt im Auto "randalierte" der kleine Bruchpilos

in der Box. Uns war sofort klar, der muss so schnell wie möglich wieder raus, die Gefahr, dass er sich auf dem Transport

ernsthaft die Flügel verletzt, war zu groß. Wir entdeckten einen kleinen Storchentrupp im Rotmoos. Wie mit

Frau Reinhard besprochen entließen wir den Storch wieder in die Freiheit, denn bis auf die Wunde im Nacken

war er offensichtlich nicht verletzt. Klar, ein Restrisiko bleibt immer, das kann man nie ausschließen, auch Frau

Reinhard nicht. Ich habe schon öfter mit ihr drüber gesprochen. Es gibt kein Generalrezept wie man einen Storch

einfängt, welchen Storch man zu einer Pflegestation bringt, welchen Storch man wieder in die Freiheit entlässt.

Das muss jedesmal wieder situationsbedingt und aus dem Bauch raus auf's Neue entschieden werden.

Wir tun unser möglichstes und hoffen, dass es richtig ist.

Dieser Trupp stand im Rotmoos, unterhalb des Festplatzes mit den Baumnestern

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Erhard fuhr mit der kostbaren Fracht raus ins Rotmoos, die Box wurde geöffnet und der arme Tropf

ließ sich nicht lange bitten...

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Es sah so aus, als hätte er noch ein wenig Pudding in den Beinen, aber das steht ihm nach dem Schrecken

der vergangenen Stunden auch zu, langsam schritt er auf seine Kollegen zu, und wir waren sehr froh,

dass wir die anderen dort entdeckt hatten und die "Storchenzusammenführung" einleiten konnten.

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Es dauerte nicht lange, da hatte er sich dem kleinen Trupp angeschlossen. Wir wollten nicht länger stören

und fuhren wieder weg. Am Nachmittag habe ich die Störche dort nicht mehr gesehen, unser kleiner

Bruchpilot scheint mit ihnen weggeflogen zu sein.

Uns fiel ein Stein vom Herzen, da hatten wir vermutlich die richtige Entscheidung getroffen.

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Kein Happy-End gab es leider bei dem unberingten Jungstorch, den die Feuerwehr in der Nacht geborgen hatte.

Peter und ich brachten ihn am Vormittag zur Tierärztin für eine erste Untersuchung, danach sollte entschieden

werden, wo wir ihn hinbringen können. Aber seine Verletzungen waren dann doch schwerer, als zuerst

angenommen. Keine Reflexe an den Beinen mehr, er konnte auch nicht liegen wie ein unverletzter Storch.

Die Flügel waren in Ordnung, aber die Beine halt leider nicht. Er wurde geröngt und die Aufnahmen zeigten

eine Verletzung der Wirbelsäule. Die TÄ empfahl, ihn zu erlösen. Ich musste diese schwere Entscheidung treffen,

aber ich denke, dass es die richtige Entscheidung war. Klar, die Tränen kullerten wieder. Die vielen toten

Jungstörche, die dieses Jahr schon geborgen werden mussten und jetzt noch diese Situation. Ich habe ihn

gestreichelt bis zum letzten Atemzug. Bis seine Augen zufielen, hat er mich die ganze Zeit angesehen, den

Blick werde ich nie vergessen.

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Gute Reise in der anderen Welt, in der du jetzt ohne Schmerzen unterwegs bist, kleiner Storch!